DAB 03/2007  |  Das "Mehr" der Architekten

... zum Selbstbewusstsein des Berufsstands

Mit knapp 49 zähle ich mich noch nicht unbedingt zum alten Eisen, doch hat sich in meiner gefühlten Architektenzeit schon eine Menge geändert, nicht nur zum Guten.

Als meine Kommilitonen und ich vor 30 Jahren zur Uni zogen, waren wir alle überzeugt davon, nach dem Studium Umwelt und Gebäude gestalten zu dürfen; keiner kannte das Wort Arbeitslosigkeit bei Architekten. Jeder hoffte, einmal diesem besonderen Berufsstand anzugehören, der in der Gesellschaft geachtet ist, dessen Wort Gehör findet. Wir glaubten Büros gründen zu können und, durch unsere zukünftigen Mitarbeiter unterstützt, Projekt nach Projekt realisieren zu dürfen, in finanziell einigermaßen sicheren Verhältnissen frei zu sein im Denken und Handeln. In diesen End-Wirtschaftswunderzeiten war Konkurrenzdenken kein Fremdwort, es prägte aber auch in keinster Weise das kollegiale Miteinander; jeder hatte zu tun, der eine mehr, der andere etwas weniger. Man zollte den Kollegen und ihrer Leistung Respekt, man unterhielt sich gerne über die jeweils laufenden Projekte, und das eine oder andere schwarze Schaf, das mit unlauteren Mitteln sich am großen, saftigen Kuchen zu bedienen versuchte, war auf breiter Basis unbeliebt. Ich gebe zu, das ist ein wehmütiger, vielleicht ein etwas roman-tisch verklärter Blick zurück, doch er trifft einen wahren Kern dieser Zeit, und er schmerzt; denn die Zeiten haben sich geändert. Eine ganz andere, eine harte Realität hat uns eingeholt.

Klassische Aufgabenfelder sind weggebrochen. Das Einfamilienhaus gibt es von der Stange beim Hersteller oder Bauträger. Das Neubauvolumen ist rapide zurückge-gangen, wir müssen uns anderen Aufgaben stellen. Die Zukunft liegt im Bestand, bei der Energieeinsparung, bei den durch demografische Faktoren bestimmten Anpas-sungen in Gebäuden zur Schaffung von Barrierefreiheit; und da sind wir als Anbieter einer Leistung nicht mehr alleine am Markt. Eine Vielzahl neuer Fachleute und Berater, auch aus Handwerkerkreisen bietet Dienste an. Der Auftraggeber ist orientierungslos, denn der Ruf und das Ansehen von Architekten ist auch nicht mehr, was er einmal war. Kurz, der Kuchen ist trockener geworden .... und kleiner, teilhaben daran müssen und wollen aber immer mehr Kollegen, denn die Zahl der Architekten hat sich in der gleichen Zeit auch noch fast verdreifacht ... und sie steigt ... und steigt.

Der Kampf um Aufträge ist also voll entbrannt, und der Ruf nach einer allmächtigen Kammer wird lauter, die doch irgendetwas tun soll, damit alle Architekten in Lohn und Brot kommen.

Dem Einzelnen kann die Kammer keine Aufträge bringen. Sie kann aber arbeiten an Öffentlichkeit für Architektur, für die Architekten im Land und für das was wir anderen voraus haben, nämlich ganzheitliches Denken beim Lösen von Problemen. Die Kammer tut dies auch hoch professionell, mit Aktionen, Veranstaltungen, dem Internet-Auftritt, dem Tag der Architektur, mit der Woche der Baukultur, dem stetigen Dialog mit Politik und Verbänden und mit einer Werbelinie, die in der Gesellschaft deutlich macht, was wir für uns in Anspruch nehmen: Mehr Wissen, mehr Kompetenz, mehr Ideen, mehr Überblick, mehr Qualität, mehr Koordination, mehr Erfahrung, mehr Nachdenken und vieles mehr.

Da fährt die Architektenkammer nach draußen ziemlich auf, und es bleibt zu hoffen, dass wir dem erzeugten Bild gerecht werden können, denn nichts ist verherender als miese Produkte hinter einer guten Werbung. Es ist vor Allem an uns, zu zeigen was in uns steckt ... einfach mehr.  So könnte denn alles wieder gut werden, wenn doch nur alle an einem Strang ziehen würden. Doch genau das tun wir eben nicht. Der Kampf ums Überleben im hart umkämpften Markt ist ja wohl viel zu schwer, als dass wir uns um die Gemeinschaft kümmern könnten; dann bleibt eben auf der Strecke, was diesen Berufsstand einmal so begehrenswert gemacht hat. Mal ganz erhrlich: Wer stellt noch Kollegialität vor Eigeninteressen? Wer verteidigt auskömmliche Honorare für alle auf Basis einer geltenden HOAI? Wer setzt sich persönlich für Architektenwett-bewerbe ein, damit auch junge Kollegen an den Futtertrog kommen und Auftraggeber lernen können, was wir unter Qualitätsoptimierung verstehen? Wer stellt junge Menschen im Büro ein und bezahlt sie so, dass sie ihre Familie gründen können? Wer tritt offen ein für die Sache der Architekten, wer erklärt es in seinem Beritt den Entschei-dungsträgern, dass der ganze Berufsstand nur dann das von ihm Erwartete leisten kann, wenn man ihm nicht die Luft zum Atmen nimmt. Wer steht öffentlich auf, und sagt, dass weit mehr als die Hälfte der Kollegen gar nicht mehr von dem Beruf leben kann. Wo ist unser Berufsethos geblieben?

Die Fälle häufen sich; Kollegen treten in offene Konkurrenz beim gleichen Bauherrn, sie unterbieten sich gegenseitig, inner- und außerhalb der durch die HOAI gesetzten Grenzen. Junge Kollegen äußern öffentlich, dass der Preiswettbewerb nun mal normal sei, was kümmert da die Honorarordnung. Um Wettbewerbe kann sich die Kammer bemühen, jeder junge Architekt mehr ist ohnehin wieder einer zuviel. Und Stellen schaffen, meine Güte; vor der Tür steht eine ganze Generation „Praktikum“, die bereit ist, monatsweise für einen Hungerlohn in großen Büros zu joben, nur um wenigstens nicht aus der Übung zu kommen. Man könnte sie ja auch gar nicht besser bezahlen; dazu hätte man vielleicht dem Bürgermeister oder dem Bauherrn erklären müssen, dass die Honorarordnung ihren Sinn hat.

Was alles mehr wollen wir dem Verbraucher anbieten, können ihm aber offensichtlich nicht klar machen, jeder nach seinen Möglichkeiten, dass Preisdumping nur mangelhafte Leistung nach sich ziehen kann und schlichtweg unsozial und unfair gegenüber dem Berufsstand ist.

Wir müssen aufstehen und Selbstbewusstsein entwickeln. Man hat uns beigebracht, über den Tellerrand zu blicken. Wir hören z.B. bei der energetischen Ertüchtigung von Gebäuden nicht beim Einpacken mit Dämmung auf; wir denken auch an die Gestal-tung und Werterhaltung, an andere sinn-volle begleitende Maßnahmen, an mach-bare Alternativen zur Einsparung oder Energiebewirtschaftung. Der Kunde profi-tiert daran und soll das auch bezahlen. Anderes Beispiel: Nicht wir brauchen Archi-tekten-Wettbewerbe, sondern die Gesellschaft braucht sie, damit unsere Umwelt in höherer Qualität gestaltet wird, damit öffentliche Mittel in die jeweils beste Lösung investiert werden. Wettbewerbe sind kein „Leckerli“ für unseren Berufsstand, sondern ein Angebot an die Gesellschaft, in das wir ein unglaubliches Wissenspotential stecken. Haben wir es wirklich nötig, unser Können wie auf dem Basar zum niedrigsten Preis feilzubieten?

Die Novellierung unserer Berufsordnung steht an, und in Vertreterversammlung und Vorstand wurde diskutiert, inwieweit mora-lische Appelle darin noch zeitgemäß sind; dies vor dem Hintergrund, dass Vieles, was wir früher unter dem Begriff Kollegialität subsummierten, ohnehin juristisch nicht mehr einklagbar ist, weil sich gesetzliche Grundlagen verändert haben. Sollen wir nicht einfach unseren Markt dem freien Spiel der Kräfte überlassen.

Für mich kann die Antwort nicht eindeutig genug ausfallen, weil der Einzelne ohne solidarische Unterstützung durch die Ge-meinschaft nichts bewirken kann und letztlich untergeht. Meine Antwort steht auch, weil ich weiß, dass unser Beruf vom Rück-blick lebt, weil wir uns immer mit Geschichte des Bauens auseinandersetzen müssen. Warum sollten wir unser Ego nicht auch vor dem Hintergrund vergangener Zeiten auf den Prüfstand stellen.

All das, was wir dem Verbraucher an „Mehr“ offerieren, werden wir nachhaltig nur leisten können, wenn wir uns auf mehr gemeinsame Werte stützen können, auf mehr Respekt vor Kollegen, die in Auftragsverhandlungen oder im Teilvertrag stehen, auf mehr Verantwortungsbewusstsein für junge Berufsanfänger, die nicht ausgenutzt werden wollen und dürfen, auf mehr Rück-grat, wenn uns Bauherren knebeln wollen, auf mehr Information untereinander und in die Kammer hinein, damit wir nicht gegen-einander ausgespielt werden, auf mehr Auf-klärung durch jeden Einzelnen vor Ort, auf mehr Solidarität im Berufsstand, ganz einfach eben auf mehr Kollegialität ... das „Mehr“ der Architekten!